Good Food Bad Food
Dokumentarfilm F 2010, 113 min
Regie: Coline Serreau
Der Film zum Dioxin-Skandal
Regisseurin Coline Serreau reiste für die bewegenden Geschichten um die ganze Welt und zeigt konkrete Alternativen zur industriellen Landwirtschaft auf.
Der Film stellt vielfältige Ideen und Initiativen zum Schutz von Umwelt, Böden und Biodiversität vor und macht damit Mut, denn die zerstörerischen Strukturen der industriellen Landwirtschaft sind keine ausweglose Notwendigkeit.
Filmkritik:
von Angelika Nguyen
Zu Beginn des Films sehen wir vor allem Augen, Tieraugen, Tiergesichter. Keine schockierenden Bilder von Massentierhaltung oder explizite Quälereien. Nur diese Augen. Dann springt der Film in die hochkonzentrierten Interviews mit seinen Protagonisten, die allesamt Experten in Sachen Landwirtschaft und Umwelt sind. Der französische Agraringenieur und Mikrobiologe Claude Bourguignon ist zum Beispiel dabei, die indische alternative Nobelpreisträgerin und Physikerin Vandana Shiva, der marokkanische Agroökologe Pierre Rabhi und der brasilianische Landeskoordinator von “Movimento dos Sem Terra”, der Bewegung der Landlosen (MST), Joao Pedro Stadile. Dabei erspart sich der Film jede Art der Rede und Gegenrede, etwa das Anhören von Vertretern der Industrie. Nur eine Seite wird vertreten, die Seite der Fürsprecher für eine natürliche Landwirtschaft. Das sind Wissenschaftler, Anführer sozialer Bewegungen, politische Aktivisten, auch solche mit Folter- und Gefängniserfahrungen, Preisträger, Philosophen, Aufklärer, Agrotechniker, Doktoren.
So erlaubt der Film eine Art Kurzstudium der Geschichte der industriellen Landwirtschaft, die noch gar nicht so alt ist. Er markiert als deren Beginn die beiden Weltkriege des 20.Jahrhunderts. Offenbar wird das simple Muster des Ersatzes der ursprünglichen ökologischen Landwirtschaft, die nur von der Natur abhängig war, durch eine Landwirtschaft, die abhängig ist von Produkten. Diese Produkte heißen Saatgut, Kunstdünger, Pestizide. Wichtig daran ist, dass die Industrie mit ihnen Geld verdient. Das Unheilwort heißt Wachstum, der Fetisch Bruttosozialprodukt. Aber was soll eigentlich wachsen? Nicht die Bäume in den Himmel, sondern einzig und allein der Profit.
Der Film lässt die Protagonisten ihr bitteres Wissen in vielen Details sich entfalten, im Stakkato fast hämmern sie fast 2 Stunden in Gehirn und Sinne der Zuschauer. Dabei helfen solche Merksätze wie: “Wer das Saatgut beherrscht, beherrscht die Welt.” Aber die Informationen entsetzen nicht nur, sie machen wach. Denn der Thriller, der die moderne konventionelle Lebensmittelindustrie ist, ist kein Kino. Er spielt sich bei unserem Einkauf ab, in unserer Küche. Wir können uns entscheiden, ob wir das wissen wollen. Dazu lädt der Film ein. Die Visionen der Industrie von Hühnern ohne Federn, Tomatenwürfeln oder Schweinen ohne Ringelschwänze (die einzigen schockierenden Bilder im Film) zeigen pur, wo wir sind. Mitten im Irrsinn einer kranken Landwirtschaft, unnützer, schädlicher Zusatzstoffe und vergifteter Hühnereier.
“Good Food, Bad Food” ist ungemütlich, fordernd, manchmal auch anstrengend. Klar wird nicht nur, dass der Krimi hier ein sehr realer ist, sondern dass wir als Verbraucher darin die wichtigste Rolle spielen. “Es gibt die große Macht der Verbraucher”, sagt einer, “lasst uns das Zeug nicht mehr kaufen und sie sind in 48 Stunden erledigt.” Bei aller Wut über die Macht multinationaler Lebensmittelkonzerne hat der Film eine positive Grundhaltung, bleibt leicht, fast fröhlich. Es sind eben Aktivisten, die hier zu Wort kommen. Sie alle haben irgendwann ja nicht nur das Thema der natürlichen Landwirtschaft und des guten Essens als Theorie entdeckt, sondern auch als Art zu leben. So zeigt der Film vor allem Alternativen. Kooperative, Mandalagärten, Selbstversorger, natürliche Landwirtschaft ohne Profit. Das ist etwas anderes als die in Teilen fragwürdige Biolandwirtschaft der Industrieländer, sondern ist verbunden mit einer politischen Haltung, die mehr meint als persönliche Krebsvorsorge.
Das Schönste an dem Film ist sein Humor. Statt “Guten Appetit”, sagt ein Protagonist in dem Film, würde er sich und den anderen bei Tisch immer lieber “Viel Glück!” wünschen. Denn wer weiß schon, was wir heute wieder essen.